Anne in China
Donnerstag, 7. Februar 2008
Nochmal wegen Wetter
07. Februar 2008
CHINA IM WETTERCHAOS

Auch Schnee kann einen Kaiser stürzen

Von Jürgen Kremb, Singapur

Tief verschneite Straßen, blockierte Gleise - und mitten drin Millionen gestrandeter Reisender. China ächzt unter dem schlimmsten Wetterchaos seit Jahrzehnten - und die Politiker versagen bei der Krisenbewältigung. Von Hilfe keine Spur. Nur die Propaganda, die funktioniert zuverlässig.

Singapur – Edward Yang, 25, ist einer von 200 Millionen chinesischen Wanderarbeitern. Und einer mit Grips. Der Englischlehrer arbeitet im südchinesischen Industriezentrum Guangzhou, dem früheren Kanton. Nur alle zwölf Monate, zum chinesischen Frühlingsfest, das in diesem Jahr heute, am 7. Februar, gefeiert wird, fährt er heim nach Lanzhou, die Hauptstadt der Provinz Gansu.
Das sind knapp 2800 Schienenkilometer und normalerweise schon ein ziemlicher Stress. Doch dieses Jahr wurde die Heimreise zum Kampf auf Leben und Tod.

Denn Wang wartete letzte Woche mit gut 900.000 Leidensgenossen vor dem Bahnhof von Guangzhou. Fast eine Woche vergebens. In Folge der schwersten Winterstürme, die China seit mehr als 50 Jahren heimgesucht hatten, war das Eisenbahnnetz der 1,3 Milliarden Einwohnernation zusammengebrochen. Ganze Landstriche waren ohne Strom. China, die aufstrebende Großmacht versank im Schnee. Und außer Wang warteten in ganz China viele Millionen.
900.000 wartende Menschen, das sind 13-mal mehr, als maximal Zuschauer in die Münchner Allianz-Arena passen. Mit dem Unterschied, dass die Wanderarbeiter von Guangzhou auf einer Fläche zusammengepfercht waren, die kleiner als das Fußballstadion der Bayern ist. All das ohne nennenswerte sanitäre Anlagen, ohne Wasser und ohne genug zu essen. Als die ersten Züge eintrafen, begann die Menge zu drücken und zu schieben, dann rannten die Menschen los.
"Die Krise hat das allerschlechteste im chinesischen System ans Tageslicht gebracht", sagte Wang. Es war nicht das lange Warten, das ihn störte, vielmehr, dass die Beamten vor Ort "jegliche Nachrichten unterdrückten" und "uns nicht als Menschen behandelten".

Der Killerblizzard hat das Land seit vier Wochen im Griff

Als der Hurrikan "Katrina" im August 2005 über New Orleans hinwegfegte und mehr als 1800 Menschen in den Tod riss, war schnell vom Versagen der amerikanischen Regierung die Rede. Zu spät sei die Hilfe gekommen. So gesehen ist der Pekinger Führung bestenfalls ein "Mangelhaft" auszustellen, wenn Noten für die Bewältigung des chinesischen Schneechaos zu vergeben wären. Denn der Bahnhofsvorplatz war für Guangzhou das gleiche wie der Superdom für New Orleans: ein riesiger Abfallhaufen, wo man nicht sehr geschätzte Menschen sich selbst und ihrem Schicksal überließ.
Nicht erst der 25. Januar war der Beginn der Wetterkrise, als die Kältewelle über Zentralchina hereinbrach, wie die staatliche Propaganda glauben machen will. Nein, der Killerblizzard hält das Land schon fast vier Wochen im Griff.
"Seit 13. Januar schneit es in Hunan", schrieb ein Blogger aus der Provinz. "Warum braucht es so lange, bis die Straßenkehrer durch die Armee abgelöst wurden?" Erst Ende Januar hatte die KP ein Krisenmanagement auf die Beine gestellt. KP-Chef Hu Jintao zog es lange vor, lieber im behaglichen Peking zu bleiben.

Panzer zum Eisknacken auf die Autobahn

Von Bush gibt es Fotos, auf denen er vom Flieger auf New Orleans herunterschaut. Noch besser agierte Hu: Er leitete eine Sitzung des ständigen Ausschusses des Politbüros in Peking. Das ist das neunköpfige Gremium, das über die Geschicke von 1,3 Milliarden Untertanen bestimmt. "Chinas Führung hat Überstunden gemacht", ließ die staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua danach wissen." Bleibt zu hoffen, dass die Herren eine ordentliche Überstundenregelung haben.
Die 4,6 Millionen Bewohner von Chenzhou, der am schlimmsten vom Schneechaos betroffenen Provinz Hunan, mussten zehn Tage ohne Strom und Wasser auskommen, bis Premier Wen Jiabao endlich vorbeischaute und um "Vertrauen" bat. Vertrauen darin, dass die KP die Krise schon bewältigen wird
Vielerorts war die Krisenbewältigung nicht gerade von Genialität geprägt: Panzer wurden eingesetzt, um das Eis auf Autobahnen zu knacken, und Soldaten hätten die Order bekommen, auf vereiste Überlandleitungen zu schießen, damit das Eis abfalle.
Nur die Propaganda funktionierte wie geschmiert
Das Einzige, was wirklich funktionierte, war auch diesmal wieder die Propagandamaschine. Die Führung, so ließ die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua wissen, habe mehr als 300.000 Soldaten und 1,1 Millionen Reservisten gegen die Kälte im Einsatz. Das Fernsehen zeigte Bilder, wie Hu in eine Kohlegrube einfuhr und die Kumpels ganz in kommunistischer Manier zu neuen Produktionsrekorden antrieb.
Immerhin stellte sich Premier Wen Jiabao in Guangzhou zu den Wartenden und bat um "Verständnis". Derweilen schippten auf allen Fernsehkanälen Grün-Uniformierte, und eine schrille Stimme kommentierte so aufgeregt dazu, als stünde der Russe schon wieder am Ussuri. Vom "Krieg gegen den Schnee" war die Rede. Man fragte sich, warum Chinas KP-Oberen immer gleich die Vokabel "Krieg" im Munde führen, wenn es nur ihre Defizite zu kaschieren gilt. Ist es, weil jemand, der gerne international so große Worte schwingt, sich doch gelegentlich recht klein fühlt? Dann ließen sich folgende Schlüsse aus China und dem Schneekrieg ziehen.

Erstens: Die bevölkerungsreichste Nation wird noch lange mit gravierenden sozialen Problemen der Infrastruktur geplagt sein, gegen die unsere Nöte geradezu lächerlich sind. "Der Westen redet China allzu gern groß", sagt Jaspar Becker, Herausgeber von "Asia Weekly", Asiens jüngsten englischsprachigem Wochenmagazin. Erst unlängst gestand die Weltbank ein, dass sie Chinas Wirtschaftkraft über Jahre weit überschätzt hatte.

Zweitens: Die KP hat im letzten Jahrzehnt wirtschaftlich tatsächlich eine Menge bewegt. Aber die politischen Strukturen haben sich kaum verändert. Mit dem kommunistischen Zentralismus der fünfziger Jahre lassen sich die Probleme des globalisierten Chinas auf Dauer nicht bewältigen. Ein Abakus taugt nicht zum Managen einer Chipfabrik.
Merke: Auch Schnee kann einen Kaiser stürzen
Was wäre eigentlich passiert, hätten die Wanderarbeiter in Kanton nicht stumm im Schnee gestanden, sondern "Gebt uns Freiheit, behandelt uns als Menschen" skandiert? Eine Million kann man nicht ins Arbeitslager stecken.

Drittes: Es wäre sicher absurd, die Schneestürme mit Global Warming zu erklären. Aber es ist an der Zeit, dass Chinas Führung erkennt, dass der Dreck, den sie aus ihren Schornsteinen blasen, nicht nur weltweit, sondern auch zu Hause für ziemlich verrücktes Wetter sorgen kann.
Schnee hat bisher noch keinen Kaiser in China von Thron gestürzt, aber die Gefahr besteht. Überschwemmungen, Taifune und andere Folgeerscheinungen der Erderwärmung entwickeln nämlich auch politische Sprengkraft. Präsident Bush hat das schon gelernt. Hu Jintao noch nicht.

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