Anne in China
Freitag, 16. November 2007
Nochmal wegen heizen
Ich habe euch mal einen sehr schoenen Artikel im Internet gesucht, der das Phaenomen sehr treffend schildert.

Im Nachhinein hat sich dann uebrigens herausgestellt, dass meine liebe Anne in Beijing den Verfasser dieses Textes kennt und beim Verfassen sogar etwas unter die Arme gegriffen hat... (das sollte ich hier eigentlich ausdruecklich nicht erwaehnen ;D) in diesem Sinne: Viele Gruesse nach 北京 und danke fuer den schoenen Text!



12. November 2007

CHINESISCHE HEIZGEWOHNHEITEN Frösteln in Peking
Von Stephan Scheuer, Peking

Ob und wann ein Chinese in der vorwinterlichen Metropole Peking die Heizung aufdreht, entscheidet nicht die Außentemperatur, sondern der Staat: Die Heizenergieversorgung wird zentral gesteuert. Die Menschen ertragen dies mit erstaunlicher Langmut.
Offiziell beginnt der chinesische Winter in Peking am 15. November und endet am 15. März. Genau in dieser Zeit ist nämlich die zentrale Wärmeversorgung der Stadt geschaltet, die Millionen von Chinesen mit Heizenergie versorgt. Doch leider hält sich das Wetter nicht immer an die staatlich festgelegten Termine. Schon im Oktober sinken die Temperaturen in vielen Gebieten bis in den niedrigen einstelligen Bereich, wie auch in diesem Jahr. Die Folge: Millionen Chinesen frieren.

Wintereinbruch in Shenyang: In geheizten Wohnungen können die Chinesen jedoch erst ab Mitte November Zuflucht suchen.
Einer von ihnen ist der Pekinger Wirtschaftsstudent Xinhan Lin. Es ist bitterkalt, als der 18-Jährige an diesem Oktobermorgen in seinem Wohnheim aufsteht, um eine Mathematikvorlesung zu besuchen. Zwischen drei und elf Grad wird es draußen sein, wie ihm die Kurznachricht des Wetterservices auf seinem Handy verrät. Er zieht sich einen dicken Wintermantel an, da die Heizungen auch in den Hörsälen zentral gesteuert werden.
In Peking versorgt die "Beijing Heating Group" Büros und Wohnungen mit einer Gesamtfläche von 102 Millionen Quadratmetern mit Wärme. Das entspricht etwa der Fläche der Insel Sylt. Doch viele Pekinger kommen nicht in den Genuss einer zentralen Heizenergieversorgung.
Vor allem Bauern in den Außenbezirken und Landarbeiter wärmen sich nach wie vor an Kohleöfen. Die sind allerdings gefährlich, weil der Abzug schlecht funktioniert oder erst gar nicht vorhanden ist. So kommt es immer wieder zu Unfällen: Alleine zwischen dem 15. November 2006 und dem 29. Januar dieses Jahres wurden im Pekinger Notfallzentrum 839 Personen mit Kohlenstoffmonoxidvergiftungen behandelt, berichtet die Zeitung "China Daily".
Mit Wintermantel in den Hörsaal
Lin hat zwar nicht mit Vergiftungen zu kämpfen, im Hörsaal ist es dafür klamm. Als die Dozentin den Raum betritt, trägt auch sie einen dicken Wintermantel, den sie während der gesamten Vorlesung nicht ablegt. Die Studenten schlürfen derweil heißen Tee und Wasser aus ihren mitgebrachten Thermoskannen. "So ist einem wenigsten von innen warm", sagt Lin. Dank der in öffentlichen Gebäuden fast überall aufgestellten Wasserspender können die Studenten zwischendurch immer wieder ihre Kannen auffüllen. "Ich will mich nicht beklagen. Es gibt viele Leute, denen noch kälter ist", sagt Lin und erzählt vom Süden Chinas, in dem es keine zentrale Beheizung gibt.
Tatsächlich wird in den Provinzen südlich des Yangtse auch in den Wintermonaten nicht geheizt - selbst wenn die Temperatur auf minus zehn Grad oder gar tiefer sinkt. Wer sich keinen elektrischen Ofen leisten kann, friert.
Lin dagegen zählt die Tage bis zum Starttermin für das Einschalten der Heizung. Als er aus dem Unterrichtsgebäude ins Freie tritt, weht ihm ein schneidend kalter Wind entgegen. Lin zieht den Kragen seiner Jacke zusammen und macht sich auf den Weg die Bibliothek. Dort finden sich so viele Studierende auf einem engen Raum zusammen, dass selbst im Winter die Temperatur über der zehn-Grad-Marke bleibt. Für viele ist hier der einzige Platz zum Lernen, denn ihre Räume in den Studentenwohnheimen müssen sich die Studierenden oft mit vier oder sechs Kommilitonen teilen. Dafür sind die Zimmer mit oft unter 100 Euro im Jahr günstig - Nebenkosten mit Zentralheizung inklusive.
"Wenn es zu warm wird - Fenster aufreißen"
Die Kosten für die Heizung werden in China nach Wohnfläche abgerechnet - egal, wie viel Energie verbraucht wird. Für eine 400-Quadratmeter-Villa in Peking werden jährlich 5000 Yuan (etwa 465 Euro) Heizkosten veranschlagt, wie die China Daily exemplarisch für das vergangene Jahr vorrechnete. Eine Zahl, die unabhängig vom eigentlichen Verbrauch kalkuliert wird - wie auch sonst? Die meisten Heizungen besitzen weder Ventile noch Thermostate. Und das, obwohl von der Regierung immer wieder zum Energiesparen aufgerufen wird.
"Wenn die Heizung erst mal läuft, dann läuft sie auch", sagt Lin. Mit der Hand greift er zu dem noch kalten Heizkörper an der Wand neben sich. "Wenn es dann zu warm wird, hilft nur noch, das Fenster aufzureißen", sagt Lin. Erst zu kalt und dann zu warm, so sei das eben, fügt er achselzuckend hinzu.
Was für viele Europäer schier unglaublich klingt, ist in China die Regel: Fast nirgendwo lässt sich die Temperatur der Heizungen selbst regulieren. Ob sich so wirklich Energie sparen ließe, möchte Student Lin lieber nicht beantworten. "In China ist eben alles im Fluss", sagt er schließlich vielsagend. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich auch an diesem Problem etwas ändere. Die im Zuge der Olympiavorbereitungen allein in Peking entstandenen gewaltigen Neubauten verleihen seiner Aussage Nachdruck. Tatsächlich gibt es Pläne der Regierung, dort ab dem kommenden Jahr durch über 400 Messstationen die Temperatur der Heizungen genauer zu steuern. Ventile und Thermostate an den Geräten in den Wohnungen sind allerdings nicht vorgesehen.
Individuell die Temperatur einstellen? Für einen duldsamen Chinesen wie Lin ein Schritt, der ohnehin gut überlegt sein wollte, sollte die Möglichkeit dazu jemals bestehen. "Eigentlich ist es doch ganz gut, dass sich jemand um die Heizung kümmert", sagt Lin schließlich. So müsse man sich selbst keine Sorgen darum machen.

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